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Antwort auf Minister Lauterbach: Wissenschaft und Homöopathie

Dr. med. M. Berger - Januar 2024

Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Quellenangabe, siehe „Infobox“.

Gesundheitsminister Lauterbach will homöopathische Leistungen aus dem Erstattungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen streichen. Das Einsparpotential ist gering – es gehe ums Prinzip: „Die Grundlage dessen, was wir vergüten und empfehlen, muss der wissenschaftliche Sachstand sein. … Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden.“


Wie ein Rückfall in vorwissenschaftliche Zeit

Im Mittelpunkt der Kritik an der Homöopathie stehen theoretische Überlegungungen: Homöopathisch hergestellte („potenzierte“) Arzneimittel könnten schon prinzipiell keine Wirkung haben, da es aktuell kein verlässliches Erklärungsmodell für eine Wirkung potenzierter Medikamente mit geringem oder fehlendem Wirkstoffgehalt gibt (1). Auf Vermutungen und Hypothesen zu bauen, steht allerdings im Gegensatz zu den Grundlagen der modernen beweisgestützten Medizin („Evidenzbasierte Medizin“). Ihr Kern ist die weitgehende Abkehr von Vermutungen und Hypothesen - stattdessen stehen tatsächliche Wirknachweisen im Mittelpunkt. Wichtiger als zu wissen wie ein Medikament wirkt, ist die Beantwortung der Frage, ob es wirkt (2-5). Es wäre zudem im höchsten Grad unethisch, nachgewiesen wirksame Medikamente aus der Versorgung auszuschließen – nur deswegen, weil der Wirkmechanismus nicht plausibel oder unbekannt ist.


Homöopathie aufgrund theoretischer Überlegungen abzulehnen, anstatt wissenschaftlich erhobenen Daten zur Wirksamkeit zu vertrauen, erscheint wie ein Rückfall in vorwissenschaftliche Zeit. Was genau wissen wir also heute über den tatsächlichen Nutzen der Homöopathie?



Wirksamkeit der Homöopathie

Ein allgemeines Kriterium für Wissenschaftlichkeit ist zunächst einmal die Frage, ob eine medizinische Behandlung auf ihre Wirksamkeit hin überprüfbar ist (6). Als „Goldstandard“ für den Nachweis ihres Nutzens gelten in der Evidenzbasierten Medizin insbesondere sog. kontrollierte Doppelblindstudien. Dabei wird z. B. in zwei möglichst gleichen Patientengruppen ein Wirkstoff gegen ein Scheinmedikament („Placebo“) nach strengen Regeln geprüft. (7).


Der Nutzen der Homöopathie wurde in kontrollierten Doppelblindstudien gemäß aktuell gültigem Studiendesign vielfach geprüft und bestätigt. Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

1. Doppelblindstudien
Die Mehrheit vorliegender Studien zeigt: Homöopathie ist statistisch signifikant wirksamer als Placebo. Statistisch signifikant bedeutet, das Ergebnis einer Studie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Zufall. Um den Schluss ziehen zu können, Homöopathie sei unwirksam, müssten die Ergebnisse von zumindest 90% der vorhandenen kontrollierten Studien außer Acht gelassen werden (8, 9).

Positive Studienergebnisse aus kontrollierten Doppelblindstudien zu Gunsten der Homöopathie liegen für akute und chronische Erkrankungen vor. Bei einigen Erkrankungen unterstreichen jeweils mehrere Studien die Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung (9, 10).


2. Metaanalysen

Eine einzelne Studie ist nicht unbedingt ausreichend aussagekräftig. Aus diesem Grund werden Studien gemäß einem festgelegten methodischen Vorgehen gemeinsam analysiert, ihre Qualität kritisch bewertet und die Daten zu einem Gesamtergebnis zusammengefasst. Diesen sog. Metaanalysen wird die höchste Verlässlichkeit bei der Beurteilung von Wirksamkeit zugeschrieben.

Eine aktuelle Arbeit vom Oktober 2023 wertet alle sechs vorliegenden Homöopathie-Metaanalysen methodisch sehr aufwendig und nach aktuell gültigen Standards aus (11-13):

  • Die Analyse aller in den Metaanalysen eingeschlossenen Studien zeigt: Die homöopathische Behandlung hat statistisch signifikant bessere Ergebnisse als eine Placebobehandlung (fünf von fünf verfügbaren Auswertungen).
  • Bei Beschränkung auf Studien mit höherer methodischer Qualität bleibt die statistisch signifikante Überlegenheit von Homöopathie in drei von vier verfügbaren Metaanalysen erhalten. In der vierten Analyse ist der Vorteil der Homöopathie gegenüber Placebo tendenziell vorhanden, wenn auch statistisch nicht signifikant.
  • Die methodische Qualität („Risiko für Verzerrung“) der Homöopathiestudien ist ähnlich wie bei anderen klinischen Studien mit gleichem Design in einem vergleichbaren Zeitraum, bewertet nach gleichen Kriterien.

Der wiederholt vorgetragene Einwand, Homöopathiestudien fielen nur dann positiv aus, wenn sie qualitativ schlecht gemacht seien, ist somit nicht haltbar. Ein direkter Vergleich kommt zu dem Ergebnis, dass mehr Homöopathiestudien eine gute Qualität aufweisen als konventionelle Medikamentenstudien (14).

3. Einsparungen von Antibiotika
Es mehren sich die Hinweise aus kontrollierten Studien, dass der Verbrauch von Antibiotika insbesondere bei Atemwegsinfekten und auch in der Nutztierhaltung mithilfe der homöopathischen Behandlung verringert werden kann (15-17).


4. Experimentelle Forschung
Laborexperimente mit biologischen oder physikalisch-chemischen Modellen zeigen eine Wirkung homöopathisch potenzierter Substanzen außerhalb des lebenden Organismus. Ihr Effekt ist von dem nicht potenzierter Substanzen unterscheidbar. Die Ergebnisse beruhen nicht auf Zufall, sie sind statistisch signifikant. Viele dieser Grundlagenexperimente erfüllen die Voraussetzungen, die an methodisch hochwertige Arbeiten gestellt werden. Ihre Ergebnisse wurden von verschiedenen Arbeitsgruppen wiederholt bestätigt (18-22).

Die Daten sind nicht vereinbar mit der Vermutung, dass homöopathische Wirkstoffe prinzipiell keine Wirkung haben können. In Laborexperimenten sind Placeboeffekte weitgehend ausgeschlossen.


Ärztliche Leitlinien und Homöopathie

Leitlinien beschreiben den aktuellen Erkenntnisstand über Erkrankungen und ihre Behandlung. Sie werden von wissenschaftlichen Expertengremien systematisch entwickelt und haben insbesondere als sog. S3-Leitlinien eine große medizinische Bedeutung (23).


Studien haben den Nutzen einer zusätzlich zur Standardbehandlung durchgeführten homöopathischen Therapie bei Krebserkrankungen untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass der Gesundheitszustand, die Lebensqualität und die Lebensdauer von Krebspatienten verbessert werden können (24). Auf der Grundlage der Studienergebnisse wurde die zusätzliche homöopathische Behandlung 2021 als Behandlungsoption in die ärztliche S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patienten“ aufgenommen. Darin wird u.a. ausgeführt:

„Trotzdem kann aufgrund der stark positiven Ergebnisse dieser Studie der Einsatz von klassischer Homöopathie (Erstanamnese in Kombination mit individueller Mittelverschreibung) zur Verbesserung der Lebensqualität bei onkologischen Patienten zusätzlich zur Tumortherapie erwogen werden“ (25).


Dieses konkrete Beispiel zeigt, dass die Politik mit ihrem Vorstoß gegen die Erstattung homöopathischer Leistungen klar im Widerspruch zu dem fachlichen Urteil des wissenschaftlichen Expertengremiums steht, dem im Übrigen keine homöopathischen Ärzte angehören.


Fazit

Die Evidenzbasierte Medizin gibt Vermutungen und Spekulationen weitgehend eine Absage. Was zählt sind Daten, die die Wirksamkeit einer Therapie belegen. Nicht nur subjektiv erleben Patientinnen und Patienten weltweit und tagtäglich, dass die Homöopathie eine wirksame und hilfreiche Behandlung ist. Auch die positiven Ergebnisse von Wirksamkeitsstudien an Menschen und Tieren sowie Daten aus der experimentellen Grundlagenforschung unterstreichen den Stellenwert der Homöopathie als wirksame und nebenwirkungsarme Therapie innerhalb einer wissenschaftlich orientierten Medizin.

Homöopathie gehört in den Leistungskatalog der kassenärztlichen Versorgung, weil sie

  • wirkt (s.o.),
  • ohne toxische Nebenwirkungen ist (26) und
  • nachweislich hilft, Behandlungskosten und Ressourcen im Gesundheitswesen einzusparen (27).

Homöopathie von der Erstattung auszuschließen wäre unsozial, Beitragszahler würden ungerechtfertigt zusätzlich belastet. Und die Kosten für das Gesundheitssystem könnten sogar steigen (28).

Im Übrigen: Politik soll sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen – sie darf sich aber nicht wertend in wissenschaftliche Fragen einmischen. Das ist bereits im Grundgesetz verankert (29). Anstatt sich auf vorliegende Fakten zu beziehen, ignoriert eine Argumentation nach dem Motto, „es ist ja allgemein bekannt, dass…“ die Regeln eines seriösen wissenschaftlichen Diskurses. Das darf nicht zur Grundlage für wissenschaftliches oder medizinisches Handeln werden. Alle, die es mit der Wissenschaft ernst meinen, mit Fakten und Wirksamkeitsnachweisen, sollten gegen den Vorstoß von Minister Lauterbach aufstehen. Heute geht es um die Homöopathie – um was geht es morgen?


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