Stress; Foto: © Alphaspirit/fotolia
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Was ist „ADHS“?

Dr. med. M. Berger -

ADHS, die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, scheint zu einem gravierenden Problem in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft - Familie, Schule, Beruf - anzuwachsen. Viele Therapeuten verstehen ADHS schlicht als Folge eines „gestörten“ Stoffwechsels der Überträgerstoffe im Gehirn (Neurotransmitter). Sie leiten daraus die Notwenigkeit ab, mit Medikamenten zu behandeln, die in diesen Stoffwechsel eingreifen (z.B. Ritalin). Andere, sagen wir mehr ganzheitlich orientierte Fachleute, betrachten das Thema eher „multifaktoriell“. Sie möchten auch bei der Behandlung die verschiedenen Facetten des Problems berücksichtigen und sehen in der Anwendung von Psychopharmaka keine (langfristige) Lösung.


Die unterschiedliche Betrachtung beginnt häufig bereits bei der Frage, wer hat eigentlich ADHS? Wann handelt es sich um eine „exzentrische“ Variante normalen Verhaltens - abweichend vom „mainstream“? Wann liegt tatsächlich eine gravierende Störung oder gar eine Krankheit vor? Dieser Artikel soll Ihnen einen Überblick über die verschiedenen Aspekte des Themas geben, damit Sie sich in der z.T. hitzigen Diskussion um die ADH-Störung eine eigene Meinung bilden können.


ADHS gilt als eine Störung bei der laut, medizinischer Definition, verschiedene Veränderungen im Verhalten der Betroffenen bestehen:

• eine Störung der Konzentration („AufmerksamkeitsDefizit“)

• eine ausgeprägte (Bewegungs-) Unruhe („Hyperaktivität“)

• große Schwierigkeiten, das eigene Verhalten angemessen zu steuern („verminderte Impulskontrolle“)


Voraussetzung für die Diagnose ADHS ist, dass das gestörte Verhalten in unterschiedlichen Situationen und verschiedenen Lebensbereichen auftritt (Familie, Schule, Freizeit) und die Symptome bereits im Vorschulalter auffielen. Die Hoffnung, die „Krankheit werde sich auswachsen“, ist leider oft unzutreffend. Bei einem großen Teil (bis zu 50 %) der betroffenen Kinder und Jugendlichen bleibt die Störung, wenn auch in veränderter Form, bis ins Erwachsenenalter bestehen. Fast 2/3 aller Kinder und Jugendlichen mit ADHS leiden zusätzlich unter begleitenden („komorbiden“) Problemen, wie Depressionen, Ängsten, Tic – Störungen und / oder so genannten Teilleistungsstörungen (Lese-, Rechtschreibe-, Rechen - Störungen).


Bei starker Ausprägung der Symptome fällt es meist nicht schwer, die Diagnose zu stellen. Bei milderen Erscheinungen besteht allerdings eine große „Grauzone“. Leider gibt es keinen einfachen, exakten, zuverlässigen Test auf ADHS. Ein zu hoher Blutzuckerspiegel, bei einem Zuckerkranken, kann sehr einfach durch eine Blutuntersuchung bestimmt werden. Die Diagnosestellung ADHS ist deutlich aufwendiger. Sie beruht auf verschiedenen diagnostischen Maßnahmen. Wenn Eltern für ihre Kinder eine Diagnosestellung anstreben, liegt häufig bereits ein Problem vor. Entweder ist der häusliche Frieden gestört oder die Eltern wurden z.B. von Erziehern oder Lehrern auf das Verhalten ihrer Kinder angesprochen. In diesen Fällen besteht, unabhängig von der Frage ob eine echte ADH - Störung vorliegt, Handlungsbedarf!


Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von Kindern / Jugendlichen mit „oppositionellem Verhalten“ (z.B. starke Aggression, viel Trotz, Verweigerung, Aufsässigkeit, provokantes Verhalten, Uneinsichtigkeit). Auch „Gesunde“ können zeitweilig ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, entscheidend ist aber die Frage, zu welchen Folgen das Verhalten führt. Immer dann, wenn es zu erheblichen negativen Folgen im familiären, sozialen, schulischen und/oder beruflichen Umfeld kommt, benötigen diese Kinder und Jugendlichen und meist auch ihre Eltern Unterstützung durch eine Beratung oder Behandlung - egal ob ADHS diagnostiziert werden kann oder nicht!


ADHS eine Stoffwechselstörung?

Betrachtet man ADHS als eine Stoffwechselstörung auf dem Boden einer vererbten Veranlagung, dann können die Symptomen als Folge einer gestörten Reizweiterleitung im Gehirn erklärt werden. Im Netzwerk der Nervenzellen werden Nachrichten über „Botenstoffe“ weitergeleitet. Man kann sich die Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen wie eine Zugbrücke über einen Burggraben vorstellen. Ist die Brücke unten, können Kuriere passieren, ist sie oben, ist der Informationsstrom blockiert. Diese Kuriere werden als Nervenbotenstoffe oder Neurotransmitter bezeichnet. Die Störung des Gleichgewichtes der Neurotransmitter ist eine gängige Hypothese bei rein somatischer Betrachtung des Themas.

Psychologische Erklärung für ADHS

Psychologische Modelle betonen die Bedeutung der Lebenssituation, die auf eine vorhandene Veranlagung, eine „seelische Empfänglichkeit“ einwirkt. Wenn es an der Fähigkeit mangelt, mit belastenden Lebensumständen umzugehen, kann sich bei entsprechender Veranlagung ADHS - Verhalten entwickeln.

Einige wenige Aspekte seien an dieser Stelle genannt:

Die Veränderung und Destabilisierung der familiären Situation (z.B. durch Verlust der Großfamilie und familiärer Tradition, Alleinerziehen, zunehmende Ehescheidungen, Zunahme wirtschaftlicher Zwänge u.a.) kann zum Verlust von Sicherheit, Geborgenheit und Orientierung führen. Auf einer unbewussten Ebene können Beunruhigung und Orientierungslosigkeit folgen. Die Vernachlässigung der emotionalen Zuwendung wird häufig durch eine „virtuelle Welt“ mit schneller Bilderfolge ersetzt: TV, Video, Computer, Gameboy, Playstation... - Stimulation wird zur Ersatzstruktur. Bei entsprechender Veranlagung sind Hyperaktivität und Impulsivität eine Möglichkeit, innere und / oder äußere Konflikte zu beantworten. Im Gegensatz zum depressiven Rückzug versuchen die Betroffenen Aufmerksamkeit und Zuwendung zu „erzwingen“. Oder das Verhalten kann als Kampf um das Erlangen von Kontrolle (über sich selbst und die Lebenssituation) interpretiert werden. Häufig wird aus Zeitmangel oder weil ganz einfach die Kraft im aufwendigen Alltag fehlt, Konflikten mit Kindern und Jugendlichen ausgewichen. „Grenzen“ werden nur unvollständig und inkonsequent abgesteckt. Es entsteht eine Tendenz zum grenzenlosen „Gewähren lassen“. Kinder werden durch stetes Nachgeben der Eltern für ihr Verhalten „belohnt“. Die Fähigkeit (Selbst-) Kontrolle über drängende Gefühle, Impulse und Wünsche zu erlangen wird nicht oder nur unzureichend erlernt.

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