Homöopathie: Foto: © Gerhard Seibert / fotolia
Homöopathie: Foto: © Gerhard Seibert / fotolia

Ist die Kritik an der Homöopathie angebracht?

Dr. med. M. Berger - Juli 2010

Ausgelöst durch die Aussagen etlicher Politiker und einen Artikel in der Zeitschrift Der Spiegel ist aktuell in der Fach- bzw. Laienpresse eine Diskussion über den therapeutischen Wert der homöopathischen Medizin und ihre Bedeutung im Gesundheitswesen entflammt. Dieser Umstand ist zunächst durchaus positiv zu bewerten, jeder fachliche Diskurs kann die Argumentation schärfen und die medizinische Entwicklung fördern. Bei vielen Diskussionen um die homöopathische Medizin fällt auf, dass die eingeforderte Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit häufig durch wenig fundierte und stark emotionsgeladene Argumente ersetzt wird.


Wenn die Aussagen, die Herrn Lauterbach in diesem Zusammenhang zugeschrieben werden, stimmen, homöopathische Ärzte würden ihre Patienten kollektiv täuschen und Wirkungsloses anbieten, nur weil es nachgefragt sei und dem  eigenen  wirtschaftlichen  Vorteil  diene, sinkt  die  Diskussion  auf Stammtischniveau. Es ist ein persönlicher Angriff auf menschliche und ärztliche Integrität und schlicht beleidigend. Auch die Darstellung in der Zeitschrift Der Spiegel, die anscheinend nahe legen soll es gäbe eine besondere Nähe zwischen Homöopathie und Nationalsozialismus, ist sicher nicht geeignet die Grundlagen der homöopathischen Medizin besser zu verstehen.


Ohne Zweifel bestehen innerhalb der Homöopathie auch fundamentalistische und dogmatische Tendenzen. Diese sind genauso wenig angebracht, wie der Versuch, die homöopathische Medizin durch Zitieren der altertümlichen Sprache und überholter Vorstellungen ihres Begründers, Dr. Samuel Hahnemann (1755 - 1843), als „bizarre“ Therapie zu diffamieren. Die Diskussion zeigt jedoch auch die großen Schwierigkeiten, die bei der Beurteilung des therapeutischen Wertes von Medikamenten oder gar medizinischer Methoden entstehen. Politiker und Journalisten sollten sich hüten, Erkenntnisse, um die wir Ärzte in der täglichen Arbeit mühevoll ringen, so einfach mal aus dem Ärmel zu schütteln.


In der gebotenen Kürze werden die aktuell kursierenden Argumente gegen die homöopathische Medizin zusammengefasst und (aus Sicht eines homöopathischen Arztes) bewertet. Dabei wird die Tendenz deutlich, dass für eine Akzeptanz der Homöopathie oft höhere Maßstäbe eingefordert werden, als sie für die etablierten Methoden gelten.

„Die homöopathische Medizin ist unwissenschaftlich“

Dieser pauschale Vorwurf ist sicher nicht haltbar, da selbst innerhalb der „etablierten“ Medizin keine Übereinkunft besteht, wann eine medizinische Handlung „wissenschaftlich“ begründet  ist. Die Prinzipien der  „Evidenz basierenden Medizin“ (EBM) sollten aus diesem Dilemma herausführen. Der Goldstandard der EBM, die placebokontrollierte randomisierte (Auswahl der Studienteilnehmer nach dem Zufallsprinzip) Doppelblindstudie (RCT) soll die Grundlage für rationale therapeutische Entscheidungen bilden. Also werden für eine Akzeptanz der Homöopathie entsprechend konzipierte Studien eingefordert. 

Für bestimmte Fragestellungen mag dies sinnvoll sein. Doch gerade aus dem Bereich der etablierten Medizin kommt grundsätzliche Kritik, ob dieser Studientyp die hohen Erwartungen überhaupt erfüllen kann. Die methodischen Probleme dieser Studien sind hinlänglich bekannt:  hilft eine Studie an 40jährigen Eskimos zu entscheiden, welche Behandlung bei einem multimorbiden, hoch betagten Patienten die wirksamste ist? Wie verlässlich sind Studienergebnisse vor dem Hintergrund, dass von Arzneimittelherstellern finanzierte Studie vier Mal häufiger positive Ergebnisse aufweisen als fremdfinanzierte Erhebungen? Wenn negativ ausfallende Studien zu einem bestimmten Medikament nicht veröffentlicht werden, kommt es zu einer Verzerrung der tatsächlichen Situation („Publikations-Bias“) - um nur einige Kritikpunkte zu nennen.

Wenn sich die Wirksamkeit eines Medikamentes zweifelsfrei aus einer RCT ergibt, warum existiert dann eine Flut von Gremien und Instituten, die den Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen bewerten sollen? Warum wurde von der Bundesregierung das IQWiG ins Leben gerufen („ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht“)? Letztlich steht der Beweis aus, dass die EBM tatsächlich zu einer besseren Versorgung unserer Patienten führt. Die Realität spricht auch eine andere Sprache: derzeit muss davon ausgegangen werden, dass allenfalls 20 bis 30 Prozent der medizinischen Anwendungen in Praxen und Krankenhäusern tatsächlich Evidenz basiert, also wissenschaftlich gesichert sind.

„Die Homöopathie ist unwirksam“

Wenn man dieser Frage auf der Grundlage der oben genannten Studien nachgehen möchte, verlangt die wissenschaftliche Redlichkeit, die Vielzahl von Einzelstudien und Metaanalysen zur Frage der Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung zur Kenntnis zu nehmen und dann sorgfältig zu prüfen. Auch in Studien mit Hochpotenzen (also hoch „verdünnten“ Arzneien) zeigen sich klare Hinweise auf Wirkungen, die deutlich über einen Placeboeffekt hinausgehen. Es ist sicher verfrüht, aus den vorliegenden Daten einen generellen „Beweis“ für die Wirksamkeit der homöopathischen Medizin abzuleiten. Es ist allerdings ebenso verfehlt, der Homöopathie eine bewiesene Nichtwirksamkeit zu unterstellen. 

Wie bereits angesprochen drängt sich die Frage auf, ob hinsichtlich der Akzeptanz der Homöopathie nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Beispielsweise ist bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ein großer Teil der regelmäßig verordneten Arzneimittel für diesen Zweck nicht zugelassen („Off-label-Gebrauch“). Es fehlen entsprechende Studien, die Auskunft über Wirksamkeit, Dosierung und Nebenwirkungen geben könnten. Dennoch würde niemand die Anwendungen als unsinnig bezeichnen, den Ärzten einseitiges wirtschaftliches Handeln vorwerfen oder die Forderung erheben, die Maßnahmen von der Kostenerstattung auszuschließen.

Bei differenzierter Betrachtung kann zwischen der spezifischen Wirksamkeit einer homöopathischen Arznei und den Effekten der homöopathischen Behandlung als Ganzes unterschieden werden. Angesichts der vorliegenden Daten bestehen mittlerweile wenig Zweifel, dass zumindest die homöopathische Behandlung mit all ihren Facetten in der Versorgung kranker Menschen ein wirksames Verfahren ist.

„Das Herstellungsverfahren homöopathischer Arzneien, die Potenzierung, ist nicht plausibel“

Wie  und  warum  die  bei  der  Herstellung  der  Arzneien  auftretenden Verdünnungen zu einem therapeutischen Effekt führen können, ist in der Tat naturwissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Es existiert bislang kein plausibles Wirkmodell für dieses Phänomen. Aus dieser Tatsache ist jedoch nicht auf die Unwirksamkeit der Homöopathie zu schließen: nur weil wir derzeit nicht wissen wie etwas wirkt, bedeutet es noch lange nicht, dass es nicht wirkt. 

Die Medizingeschichte ist reich an ähnlichen Beispielen. Erinnern wir uns an Ignaz Semmelweis, der im 19. Jahrhundert das Auftreten von Kindbettfieber mit der Übertragung von (damals unbekannten) Erregern in Zusammenhang brachte und das Waschen der Hände bei Studenten, Ärzten und Pflegepersonal einforderte. Seine Erkenntnisse waren mit den damals geltenden Theorien über die Entstehung von Krankheiten unvereinbar, sie wurden als spekulativer Unfug und Zeitverschwendung abgetan. Heute wissen wir es besser! 

Beispielsweise sei auch auf die Wirkung von Methylphenidat bei der Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit ADHS hingewiesen. Die Substanz hat bei Gesunden einen stimulierenden Effekt. Warum es bei Betroffenen zu einer Beruhigung kommt ist physiologisch nicht nachvollziehbar, dennoch handelt sich um eine nachweislich wirksame Therapie. 

„Homöopathie ist schädlich“

Dass homöopathische Arzneien keine relevanten Nebenwirkung auslösen, dürfte allgemeiner Konsens sein. Auch die vorgebrachte Behauptung, die Homöopathie sei eine schädliche Methode, weil adäquate Therapieoptionen unterbleiben, ist Unfug. Mir ist keine Erhebung bekannt, die diese Aussage stützt. 

Im Gegenteil: Die Nebenwirkungsquote bei Anwendung etablierter Medikamente ist hoch. Krankenhauseinweisungen und Todesfälle auf Grund unerwünschter Arzneimittelwirkungen sind häufige Ereignisse. Arzneimittel- nebenwirkungen gehören zu den häufigsten Todesursachen! Dennoch sollte niemand auf die Idee kommen, die konventionelle Arzneimitteltherapie als überflüssig zu bezeichnen.

Ein homöopathischer Arzt, der eine falsche Diagnose stellt oder zugunsten der homöopathischen Therapie auf eine andere, lebensrettende Maßnahme verzichtet, hat einen Kunstfehler begangen. Dies gilt genauso für einen Chirurgen, der eine falsche Operationsindikation stellt oder dem ein anderer Fehler unterläuft. In keinem dieser Fälle kann das persönliche Versagen eines Arztes der Methode an sich angelastet werden.

„Die Homöopathie ist eine wirtschaftliche Belastung für unser Gesundheitssystem“

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für die homöopathische Medizin liegen sowohl hinsichtlich der Ausgaben für die ambulante Versorgung als auch für die Arzneimittel weit unter einem Prozent der gesamten Kosten. Eine Erhebung des Berufsverbandes der homöopathischen Ärzte konnte zeigen, dass homöopathische Kassenärzte ihr Budget für Arzneimittel nur etwa zu einem Drittel beanspruchen. Verschiedene Auswertungen weisen in die Richtung, dass im Rahmen der homöopathisch orientierten Patientenversorgung die Kosten durch Einsparungen in verschiedenen Bereichen reduziert werden könnten: weniger Klinikeinweisungen, weniger Arzneimittelnebenwirkungen, weniger teure Medikamente u.a. 

Zum Schluss erlaube ich mir ein Plädoyer zugunsten der homöopathischen Medizin. Es handelt sich dabei um meine ganz persönliche Sicht nach über 25 Jahren ärztlicher Tätigkeit, die von vielen homöopathisch tätigen Ärzten geteilt wird. Die homöopathische Behandlung ist aus unserer täglichen Arbeit nicht wegzudenken.

Wir verfügen mit der Homöopathie über eine wirkungsvolle Methode, die sowohl akut als auch chronisch kranken Menschen helfen kann, ohne Nebenwirkungen ein Stück Gesundheit, Wohlbefinden und Autonomie zurückzuerlangen. Auch in der Selbstmedikation kommt homöopathischen Arzneien eine sinnvolle Bedeutung zu. Homöopathie ist nicht „Ersatz“ konventioneller Medikamente durch „nette, sanfte, grüne Medizin“. Das Besondere der homöopathischen Medizin ist ihre Fähigkeit, die bei einer Krankheit gestörte physiologische Regulation unseres Organismus positiv zu beeinflussen. Während konventionelle Medikamente die entstandenen Beschwerden lindern, bei schweren Krankheitsverläufen vor der Zerstörung der Organe schützen und uns das Leben retten können, beeinflussen sie letztlich nicht die Dynamik einer Erkrankung. Die zugrunde liegende Störung der physiologischen Regulation, z.B. die Schwächung des Immunsystems, bleibt unbehandelt. Deswegen ist die Homöopathie für uns eine „moderne“ Behandlungsform, wir verfügen damit über eine Möglichkeit, steuernd - regulierend (kybernetisch) in physiologische Prozesse einzugreifen.


Beispielsweise werden zumindest 80% der akuten Atemwegsinfekte durch Viren ausgelöst. Antibiotika entfalten ihre Wirkung bekanntlich nur auf Bakterien. Konventionelle Medikamente lindern die Beschwerden: das Fieber wird gesenkt, Schmerzen genommen. Die Entwicklung der Erkrankung wird dadurch nicht wirklich beeinflusst. Die homöopathische Medikation soll die Abwehrsituation optimieren, der Infekt kann überwunden werden.


Mir persönlich hat sich bei der Behandlung die Frage nach einem entweder - oder, entweder „Schulmedizin“ oder Homöopathie, nie gestellt. Erstrebenswert scheint mir eine verantwortungsvolle Integration der Methoden, ein sinnvoller Pluralismus: je nach vorliegender Erkrankung, je nach Zustand des Patienten, auch auf der Basis der eigenen Erfahrung - und der Präferenz des kranken Menschen.


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