In einem Beitrag zur Ankündigung eines Gesetzentwurfes zur Masernimpfpflicht auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums heißt es: „Masern bringen häufig Komplikationen und Folgeerkrankungen mit sich. Dazu gehört im schlimmsten Fall eine tödlich verlaufende Gehirnentzündung“ (6).
Um die Häufigkeit genauer bestimmen zu können sind wir auf Schätzungen angewiesen, da Komplikationen an Masern nicht meldepflichtig sind.
Die Fakten:
1.
Eine gefährliche Komplikation der Masernerkrankung ist die akute Entzündung des Gehirns (Enzephalitis). Das RKI schätzt, dass von 1.000 Menschen mit Masern ein Betroffener an einer Enzephalitis erkrankt (= 0,1 %). Von Menschen, die an einer Enzephalitis erkranken, sterben etwa 10 - 20 % (1, 20, 22).
In den letzten zehn Jahren (2009 bis 2018) wurden insgesamt 9.597 Masernfälle in Deutschland registriert (20). Legt man die Schätzung des RKI zugrunde, sind
- in den letzten 10 Jahren ca. 10 Personen an einer Enzephalitis nach Masern erkrankt.
- 1 - 2 Personen könnte in den letzten zehn Jahren daran gestorben sein.
2.
Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine Komplikation, die sich erst Jahre nach einer Maserninfektion manifestiert. Es handelt sich um eine über Jahre schleichend verlaufende Infektion des Gehirns mit tödlichem Ausgang (1, 20). Bei der aktuellen Diskussion um die Impfpflicht gegen Masern spielt die Verhinderung von SSPE eine wichtige Rolle, da sie vermutlich vor allem bei kleinen Kindern auftritt, die noch keinen Impfschutz gegen Masern haben (siehe 6.; Thema: Herdenimmunität).
Bezogen auf alle Altersklassen schätzt das RKI die Häufigkeit der SSPE auf maximal einen Fall pro 10.000 Masernkranke (= 0,01 %) (1, 19, 20). Für den Zeitraum von 2009 bis 2018 (knapp 10.000 Masernfälle) würde das bedeuten:
- In den letzten zehn Jahren könnte es zu einem Fall von SSPE gekommen sein.
Laut RKI sind kleine Kinder besonders gefährdet. Bei Kindern unter einem Jahr gibt es auf 10.000 Masernkranke 6 Fälle von SSPE (20). Nach einer aktuellen Berechnung sind in den letzten 18 Jahren (2001 bis 2018) insgesamt 1.200 Kinder im ersten Lebensjahr an Masern erkrankt (18,19). Legt man die genannten Angaben des RKI zur Häufigkeit der SSPE für kleine Kinder zugrunde, wäre
- in diesen 18 Jahren maximal 1 Säugling an SSPE erkrankt sein.
Die Universität Würzburg hat gemeinsam mit dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit 2013 eine Studie zum SSPE - Risiko veröffentlicht (24). Die Datenlage ist sehr unsicher (2). Nach Verknüpfung geschätzter Variablen kommen die Autoren zu dem Schluss, dass das Risiko für die Entwicklung einer SSPE nach Masernerkrankung in Deutschland größer ist, es könnte 1 : 3.300 betragen. Ob sich diese SSPE - Erkrankungen durch eine Impfpflicht hätten vollständig vermeiden lassen, bleibt unklar: Von den 31 ausgewerteten Fällen waren 17 Kinder regulär gegen Masern geimpft (24).
- Legt man diese Berechnung zu Grunde, wären bezogen auf alle Altersklassen in den letzten 10 Jahren 3 Fälle von SSPE aufgetreten.
Auch wenn es in der Literatur Hinweise darauf gibt, dass seit Einführung der Masernimpfung weltweit das Auftreten von SSPE-Erkrankungen abnimmt, bleibt wegen der geringen Zahl erfasster SSPE - Fälle die Datenlage und unser Wissen über die Häufigkeit des Auftretens weiter unsicher (1,2).
Kommentar:
Im medizinischen Kontext sollten Angaben zur Häufigkeit (von Komplikationen), wie „selten“ oder „häufig“ (siehe oben), nicht einer subjektiven Einschätzung folgen, sondern folgenden Maßstab berücksichtigen (17):
sehr häufig: mehr als 10 von 100; (mehr als 10%)
häufig: 1-10 von 100, (1 bis 10%)
gelegentlich: seltener als 1 von 100 bis 1 von 1.000; (seltener als 1% - 0,1%)
selten: seltener als 1 von 1.000 bis 1 von 10.000; (seltener als 0,1% - 0,01%)
sehr selten: seltener als 1 von 10.000; (seltener als 0,01%)
Legt man diese Norm zugrunde, wäre die Angabe des Gesundheitsministeriums, Masern ziehe „häufig“ Komplikationen nach sich, zu korrigieren:
- Akute Enzephalitis: selten / gelegentlich
- Tod wegen Enzephalitis: selten / sehr selten