Medikamente; Foto: Pixabay
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Hormone für die Wechseljahre - ein Gesundheitsrisiko?

Dr. med. M. Berger - Oktober 2013

Die Geschichte um die Entwicklung der „Hormonersatz-Therapie“ in den Wechseljahren liest sich fast wie ein Krimi - sie ist allerdings eher ein trauriges Beispiel dafür, wie Frauen mit einer, wenn auch belastenden, allerdings letztlich ungefährlichen Störung ihrer Gesundheit über viele Jahre ohne vernünftige wissenschaftliche Grundlage behandelt wurden. 

Fast allen Frauen, in Deutschland und in anderen westlichen Industrieländern, wurde noch vor einigen Jahren geraten, nicht nur bei tatsächlich vorhandenen Beschwerden in den Wechseljahren („Menopause“, „Klimakterium“) sondern auch um späteren Krankheiten vorzubeugen, Hormone einzunehmen. Diese gängige Praxis dürfte tausende von Frauen das Leben gekostet haben! Was also war geschehen und welche Lehren können wir daraus ziehen?



Die Wechseljahre

Foto: ©Fotolia
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Bereits bei der Geburt besitzt ein Mädchen in den Eierstöcken seinen gesamten Vorrat an Eizellen. In der fruchtbaren Lebensphase, mit Beginn der Pubertät, werden diese Monat für Monat (im Idealfall) freigegeben und stehen für die Befruchtung zur Verfügung. Die Gebärmutter bereitet sich auf die Versorgung einer befruchteten Eizelle vor: Ihre Schleimhaut schwillt an, voll gepackt mit Nährstoffen und allem, was der heranreifende Embryo benötigen wird. Bleibt die Befruchtung aus, stößt die Gebärmutter ihre nun nicht mehr benötigte Schleimhaut ab, es kommt zur Regelblutung (Menstruation). 


Etwa ab dem 40. Lebensjahr nimmt die Zahl der zur Verfügung stehenden Eizellen rapide ab, im Schnitt um das 50. Lebensjahr herum ist dann der Vorrat verbraucht (mit großen Variationen). Das Ende der fruchtbaren Zeit führt zu einer gravierenden Hormonumstellung im Organismus der Frau. Einige Frauen bemerken zunächst nur, dass die Abstände zwischen den Blutungen unregelmäßig werden und diese dann zunehmend ausfallen. Andere Frauen leiden unter Trockenheit im Genitalbereich und vor allen unter Hitzewallungen und Schweißausbrüchen.

Es wird derzeit vermutet, dass die nachlassende Hormonproduktion in den Eierstöcken Auswirkung auf die Steuerung der Körpertemperatur hat. Dies kann dazu führen, dass oberflächliche Gefäße schubweise vermehrt mit heißem Blut durchströmt werden. Hitzegefühl, Schweißausbrüche, Hautrötung oder vermehrtes Herzklopfen können als unangenehm wahrgenommen  werden. 


Viele Frauen nehmen die körperlichen Veränderungen jedoch nicht nur nachteilig war, sondern sie bewerten die Zeit der Hormonumstellung als wichtige Phasen im Leben und entwickeln neue Perspektiven (der Begriff „Klimakterium“ stammt aus dem griechischen und bedeutet in etwa „kritischer Wendepunkt im Leben“). Neuen Orientierungen und Veränderungen des Lebensstils können sich etablieren. 


Behandlung in den Wechseljahren

Medizinisch hingegen wurden die Wechseljahre lange als Problem wahrgenommen. Die Natürlichkeit der Hormonumstellung wurde (von vielen Ärzten) ignoriert und wie bei der Zuckerkrankheit (bei der zu wenig Insulin vorhanden ist oder dieses nicht ausreichend wirkt) schien es eine einfache Lösung zu geben: Die „Hormonersatz-Therapie“ wurde das Mittel der Wahl zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden. Dieser Begriff erweckt  den Eindruck, es handele sich um eine „natürliche“ Behandlung. Schließlich wird dem Organismus ja nur das gegeben (substituiert), was ihm fehlt - und wenn man das bekommt was einem fehlt, können dann Nebenwirkungen zu erwarten sein? 


Die Behandlung sollte nicht nur belastende Hitzewellen und Schweißausbrüche verbessern (was sie tatsächlich tut), sondern auch die Häufigkeit von Knochenbrüchen durch Osteoporose vermindern (wozu Sie ebenfalls in der Lage ist), Demenz verhindert sowie Herzinfarkte und Schlaganfälle verhüten. Wegen dieser angeblichen Vorteile haben Millionen von Frauen auf ärztlichen Rat hin Hormone in und nach den Wechseljahren eingenommen. Die Hormonersatzbehandlung war gängig und weit verbreitet (allein in Deutschland zeitweise 4 Million Frauen im Jahr), ohne dass zu irgend einem Zeitpunkt wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit und vor allem für die Sicherheit dieser Behandlung vorlagen. 


In einer gemeinsamen Stellungnahme verschiedener Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Verband der Frauenärzte, Deutsche Menopausengesellschaft u.a.) wurde im Jahr 2000 im Deutschen Ärzteblatt das Fazit gezogen: „ ... Demnach überwiegt der Nutzen der Hormonsubstitution die gesundheitlichen Risiken bei weitem. ... Dabei hätte man es zu diesem Zeitpunkt bereits anders wissen können (müssen?). Bereits im Jahr 1998 legte eine große Studie den Schluss nahe, dass die Hormoneinnahme während und nach der Menopause zu vermehrten Todesfällen aufgrund von Herz- und Gefäßkrankheiten führt (HERS - Studie).


Nebenwirkungen der Behandlung

Nebenwirkungen; ©Annibell82/fotolia
Nebenwirkungen; ©Annibell82/fotolia

Wechseljahre sind eine Krankheit und nicht natürlich. Sie sind von Menschenhand geschaffen. (...) Der Hormonersatz (...) ist direkt mit dem Einsatz des Hormons Insulin bei Diabetikern (...) vergleichbar. Niemand käme auf die Idee, letzteren die Hormone zu verweigern (...).“ So lautete eine Pressemitteilung des Berufsverbandes der Frauenärzte Niedersachsens noch im September 2002. Dabei wurde bereits im Mai des Jahres 2002 die größte, wissenschaftlich einwandfreie, auf die Dauer von 8 Jahren angelegte Studie zu diesem Thema nach gut 5 Jahren wegen eindeutiger Ergebnisse vorzeitig abgebrochen: Die Hormonbehandlung in und nach den Wechseljahren schadet mehr als sie nützt (WHI - Studie)! 


So sieht die Bilanz aus, die sich nach dieser Studie ergibt: 


Von 1 Million Frauen, die Hormone einnehmen, erkranken im Vergleich zu einer (Placebo-) Gruppe ohne Hormoneinnahme im Jahr: 


→ ca. 700 Frauen zusätzlich an Herzerkrankungen 

→ ca. 800 Frauen zusätzlich an Schlaganfällen 

→ ca. 1800 Frauen zusätzlich an venösen Thrombosen und Embolien 

(„Thrombose“ = „Verstopfung“ von Venen durch Gerinnsel, „Embolie“ = lebensgefährliche Verschleppung des Gerinnsels in die Lunge) 

→ ca. 800 Frauen zusätzlich an Brustkrebs 

→ ca. 2.000 Frauen an Erkrankungen der Gallenblase, die eine Operation notwendig machen 

→ ca. 500 Knochenbrüche (Hüfte) weniger 

→ ca. 600 Erkrankungen an Darm- und Mastdarmkrebs weniger 


Weitere Studien haben diese Ergebnisse in späteren Jahren bestätigt: Auch wenn die von Hormonen günstig bzw. ungünstig beeinflussten Krankheiten gemeinsam bewertet werden, überwiegen die Schädigungen deutlich! Nach Veröffentlichung der WHI - Studie wurden die Risiken der Hormontherapie auch in der (Laien-) Presse ausführlich dargestellt. Trotz des anfänglichen Wiederstandes in Teilen der Ärzteschaft, den Ergebnisse glauben zu schenken, sanken die Verordnungen für die Hormonbehandlung in den Wechseljahren kontinuierlich. Angesichts der ungünstigen Nutzen - Schadens - Relation ist es allerdings erstaunlich, dass sie weiterhin recht häufig eingesetzt wird. 


Das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung, Berlin analysierte die Verordnung von Hormonen in den Wechseljahren für den Zeitraum 2000 bis 2005. Fazit: „ (...) Insgesamt ist auf Basis der vorliegenden Ergebnisse zu vermuten, dass die aktuellen Empfehlungen zur Anwendung der (...) Hormontherapie nach Erscheinen der WHI-Studie in der Praxis insgesamt berücksichtigt werden. Trotz des Rückganges der Verordnung von Hormontherapien im Beobachtungszeitraum überrascht jedoch, dass auch nach Veröffentlichung der WHI-Studie relativ viele Hormonbehandlungen durchgeführt und auch neu begonnen werden“.  Aktuell ist davon auszugehen, dass in Deutschland immerhin noch etwa 1 Millionen Frauen jährlich Hormone gegen Beschwerden in den Wechseljahren einnehmen. Die Zahl der sich daraus ergebenden Gesundheitsstörungen, lässt sich auf der Basis oben genannter Risiken leicht ausrechnen.


Wann behandeln?

Ob eine Hormonbehandlung in den Wechseljahren sinnvoll ist, kann nur individuell entschieden werden. Die folgenden Informationen können dabei eine Hilfe sein: 


  • Die Beschwerden dauern in der Regel etwa 2 Jahre, sie klingen anschließend von alleine ab 
  • Die vorhandenen Studiendaten legen den Schluss nahe, dass die Hormonbehandlung den Zeitpunkt der Beschwerden nur verschiebt. Die Beschwerden werden nicht grundsätzlich beseitigt, sondern der Zeitpunkt ihres Auftretens wird auf die Zeit nach dem Absetzen der Hormone verschoben. 
  • Wie stark und wie lange beeinträchtigen Beschwerden das Leben der Betroffenen?
  • Einige Risiken der Behandlung treten bereits frühzeitig auf (innerhalb des ersten Jahres), die kurzzeitige Einnahme von Hormonpräparaten reduziert zwar die Gefährdung, schließt sie jedoch nicht aus 
  • Sind alternative Behandlungmöglichkeiten ausgeschöpft? 
  • Wie bewertet eine betroffene Frau die Risiken der Hormonbehandlung? 
  • Bestehen  bereits  Risiken  für  das  Auftreten  von  Herz  - Kreislauferkrankungen oder Brustkrebs? 

→ Zu welchem Schluss kommt eine Betroffene nach Abwägung von Chancen und Risiken? 

Fazit

Es  ist  kein  Einzelphänomen,  dass  ein  an  sich  normaler, physiologischer Vorgang zur Krankheit umgedeutet wird. Auf diese Weise werden viele Menschen automatisch zu Patienten. Vergleichbares erleben wir in anderen Bereichen: Bei der Abnahme der Knochendichte mit zunehmendem Alter, bei isolierter Erhöhung von Cholesterinwerten (und fortschreitender Senkung von Normalwerten), nicht jedes lebendige Kind hat ADHS und nur selten ist das auffällige Ergebnis einer Früherkennungsuntersuchung tatsächlich mit einer Krankheit verbunden. Die Liste der Beispiele lässt sich nahezu beliebig verlängern. 


Vor jeder Entscheidung, über einen langen Zeitraum Medikamente einzunehmen, sollte die Beantwortung folgender Fragen stehen: 


  • Wie ist der natürliche Verlauf der Störung / Erkrankung? (Je gefährlicher eine Krankheit, desto mehr wird man bereit sein Risiken der Behandlung (Nebenwirkungen) in Kauf zu nehmen) 
  • Welchen Vorteil habe ich von der Behandlung zu erwarten? 
  • Wie groß ist meine Chance, dass der Behandlungsvorteil auch bei mir zum Tragen kommt? (Kein Medikament wirkt bei Jedem) 
  • Welche Risiken sind mit der Behandlung verbunden? 


Wer über diese Informationen verfügt, kann eine vernünftige, individuell passende Entscheidung treffen. 

Fragen Sie Ihren Arzt oder Ihren Apotheker!


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