Krankes Kind; Foto: ©  Picture-Factory/fotolia
Krankes Kind; Foto: © Picture-Factory/fotolia

Die Entzündung des Mittelohres -
was ist bei der Behandlung zu beachten?

Dr. med. M. Berger - Dezember 2016

Bis zum 3. Lebensjahr haben mehr als die Hälfte aller Kinder zumindest einmal eine Mittelohrentzündung durchgemacht. Die Anfälligkeit nimmt offensichtlich zu, in den USA wurden 1990, im Vergleich zu 1975, drei mal so viele Kinder mit Entzündung des Mittelohres beim (Haus-) Arzt vorgestellt. Eine Entzündung des Mittelohres wird selten durch Bakterien ausgelöst, die häufigsten Erreger sind Viren. Diese Tatsache ist von Bedeutung in Hinblick auf die Frage, ob eine Behandlung mit Antibiotika Sinn macht oder nicht (siehe unten).


Verlauf der Krankheit

Die Erkrankung verläuft meist ohne Komplikationen. Auch ohne Behandlung sind 8 von 10 Kindern spätestens nach einer Woche wieder gesund. Gefährliche Komplikationen sind äußerst selten. Bei der akuten „Mastoiditis“, einer eitrigen Entzündung im so genannten Warzenfortsatz des Hinterkopfes (direkt hinter dem Ohr), kann die Entzündung den Knochen angreifen und in Richtung Gehirn durchbrechen. Grundsätzlich kann es im Rahmen einer Mittelohrentzündung auch zur Entzündung der Hirnhäute kommen („Meningitis“). Auch diese Komplikation ist sehr selten. Gefährliche Verläufe treten unabhängig von der Art der Behandlung auf. Auch eine unverzüglich aufgenommene Behandlung der Mittelohrentzündung mit Antibiotika schützt nicht vor diesen Komplikationen. Denkbar ist sogar, dass die Beschwerden eines komplizierten Verlaufs durch frühzeitigen Einsatz von Antibiotika verschleiert werden könnten.


Antibiotische Behandlung

Antibiotika können bei schweren, durch Bakterien ausgelösten Krankheiten Leben retten. Sie werden allerdings oft unkritisch verordnet, insbesondere bei Infektionen der Atemwege. Bei Kindern erfolgen über zwei Drittel aller Verschreibungen wegen Erkältung, Husten und Bronchitis sowie Entzündung des Mittelohres. Die meisten dieser Erkältungskrankheiten werden allerdings nicht durch Bakterien, sondern durch Viren ausgelöst. Antibiotika sind Viren gegenüber völlig wirkungslos! Alle Studien zu diesem Thema zeigen durchgängig dasselbe, völlig paradoxe Phänomen: 


80-90 % dieser Atemwegsinfekte werden durch Viren ausgelöst - dennoch werden 80-90 % dieser Erkrankungen antibiotisch behandelt!


Zur Behandlung der Mittelohrentzündung werden Antibiotika in Australien, Kanada und den USA fast jedem erkranktem Kind verschrieben. In den Niederlanden werden am wenigsten Antibiotika verordnet, „nur“ etwa jedem 3. Kind mit Mittelohrentzündung, in Deutschland ca. jedem 2. Kind.

Um über eine geeignete Behandlung der Mittelohrentzündung entscheiden zu können (Antibiotika ja oder nein?) ist zunächst einmal folgende Feststellung von Bedeutung: Ihr Arzt kann zu Beginn der Erkrankung keine sichere Unterscheidung treffen, ob die Entzündung durch Viren (kein Antibiotikum nötig) oder Bakterien (nur auf diese Erreger wirken Antibiotika) ausgelöst wurde! Im frühen Stadium einer unkomplizierten Erkrankung ist es also nahezu unmöglich zu entscheiden, welche Kinder von einer sofortigen Antibiotikabehandlung profitieren könnten. Studien liefern Hinweise dafür, dass Kinder, bei denen die Mittelohrentzündung von sehr hohem Fieber, Erbrechen und schlechtem Allgemeinzustand begleitet wird sowie Kinder, die jünger als 2 Jahre sind und eine beidseitige Mittelohrentzündung haben, von der Behandlung mit Antibiotika profitieren könnten. Aber selbst dieser Effekt fällt in der Regel bescheiden aus. Antibiotika führen dann meist dazu, dass die Schmerzen schneller abflauen (was auch durch Behandlung mit einem Schmerzmittel, z.B. Paracetamol, zu erreichen ist).


Basierend auf einer Vielzahl von Behandlungsstudien empfehlen die gängigen ärztlichen Leitlinien zur Behandlung der Mittelohrentzündung bei Kindern in der Regel auf eine sofortige antibiotische Behandlung zu verzichten. Kinder, die nicht sofort behandelt werden, haben statistisch betrachtet nicht mehr Schmerzen in den ersten 24 Stunden, sie erleiden nicht häufiger einen Durchbruch des Trommelfells, das Fieber dauert nicht länger und sie haben keinen größeren Hörverlust durch die Krankheit, im Vergleich zu nicht sofort antibiotisch behandelten Kindern. Die Daten legen auch nahe, dass der Einsatz von Antibiotika keinen Einfluss auf die ohnehin seltenen Komplikationen Mastoiditis oder Meningitis hat (siehe oben).


Aus diesen Gründen wird zunehmend eine abwartende Strategie empfohlen - wenn auch selten umgesetzt: Stellt der Arzt die Diagnose Entzündung des Mittelohres, kann ein Rezept mitgegeben und durch die Eltern bei Verschlechterung der Symptome oder ausbleibender Besserung eingelöst werden („watchfull waiting“). Es hat sich gezeigt, dass allein mit dieser Strategie bereits 70 % (!) der Antibiotika eingespart werden konnten - ohne dass der Verlauf der Erkrankung sich wesentlich von dem, der sofort antibiotisch behandelten Kinder, unterscheidet! 


Nachteile einer Behandlung mit Antibiotika

Kann ein Bakterium nicht durch ein Antibiotikum zerstört oder in seinem Wachstum gehemmt werden, ist es resistent gegen diesen Wirkstoff. Es handelt sich also um eine Art Widerstandsfähigkeit gegen das Medikament. Der wichtigste Anstoß für die Ausbildung und Verbreitung von Resistenzen ist der häufige Einsatz von Antibiotika! Die zunehmende Ausbildung von Resistenzen führt zu einem Wirkverlust gängiger Antibiotika. Reserveantibiotika mit breitem Wirkspektrum (und auch mehr Nebenwirkungen) müssen vermehrt eingesetzt werden. Dies führt wieder zu einer Zunahme des Selektionsdruckes auf die Erreger und zur Ausbildung neuer Resistenzen. Wir sind mitten in diesem sich immer schneller drehenden Teufelskreis: Je mehr Antibiotika eingenommen werden, umso schneller und umfassender lernen Bakterien, sich der Wirkung der Medikamente zu entziehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) macht seit Jahren auf das Problem aufmerksam. 2014 hat sie in ihrem Global Report on Antibiotic Resistence die abnehmende Wirksamkeit als „ernste weltweite Bedrohung der öffentlichen Gesundheit“ thematisiert (siehe Beitrag: Antibiotika: Die Wunderwaffe verliert an Kraft).


Darüber hinaus kann die Behandlung mit zum Teil gravierenden Nebenwirkungen verbunden sein: 

Etwa jedes 2. Kind reagiert mit Durchfall oder einer allergische Reaktion der Haut auf die Einnahme von Antibiotika. Auch gibt es ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass die antibiotische Behandlung einer Mittelohrentzündung das Auftreten weiterer Episoden begünstigt. Im Vergleich mit unbehandelten Kindern tragen behandelte Kinder innerhalb der nächsten 3 Jahre ein mehr als doppelt so hohes Risiko für eine erneute Mittelohrentzündung. 


Abschwellende Nasentropfen

An dieser Stelle werfen wir auch kurz einen Blick auf die gängige Behandlung mit abschwellenden Nasentropfen. Die Überlegung, die zu ihrem häufigen Einsatz bei Kindern mit Mittelohrentzündung führt, ist leicht nachvollziehbar: Schwellen die Schleimhäute in Nase und Rachen ab, sollte die Flüssigkeit aus dem Mittelohr besser und schneller über die Ohrtrompete (Verbindung zwischen Mittelohr und Rachen) abtransportiert werden können. Dies soll Druck und Schmerz im Mittelohr vermindern und die Heilung fördern.


Zur Frage der Wirksamkeit abschwellender Nasentropfen bei Mittelohrentzündung hat die Cochrane Collaboration, ein weltweites Netz von Wissenschaftlern und Ärzten mit der Aufgabe medizinische Therapien neutral und unabhängig zu bewerten, eine Übersicht erstellt. Das Ergebnis: 


Die Behandlung mit abschwellenden Nasentropfen hat keinerlei nachweisbaren Effekt auf den Verlauf einer akuten Entzündung des Mittelohres bei Kindern. 


Andererseits können diese Substanzen bei Säuglingen und Kleinkindern zu unerwünschten Wirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem und wegen der noch offenen Blut-Hirnschranke zu unerwünschten Effekten am Gehirn führen. Beschrieben werden ebenso schneller Herzschlag (Tachykardie), Erhöhung des Blutdrucks, Unruhe, Schlaflosigkeit, Halluzinationen und Krämpfe, wie das Auftreten komatöser Zustände und Todesfälle durch Herz- und Atemstillstand. Diese Nebenwirkungen sind nicht häufig, aber möglich. 


Fazit

Das aktuell verfügbare Wissen über die Behandlung einer Mittelohrentzündung bei Kindern spricht gegen die „automatische“ Einnahme von Antibiotika. Ihr Einsatz sollte komplizierten Verläufen vorbehalten bleiben - die selten vorkommen. Abschwellende Nasentropfen haben keinen Effekt auf den Verlauf der Erkrankung, ihre Verwendung ist bei Kleinkindern mit (seltenen aber gravierenden) Risiken verbunden. Schmerzen lindernde Medikamente (wie z.B. Paracetamol) begünstigen nicht die Heilung, sie können aber unter strikter Beachtung der Höchstmengen das Wohlbefinden unterstützen.

Homöopathischen Arzneien schreiben wir eine heilende Wirkung zu, die über Linderung von Beschwerden hinausgeht. Bei Wahl einer passenden Substanz sollte diese in der Lage sein, die körpereigene Regulation so zu optimieren, dass die Heilung beschleunigt (mitunter frappierend schnell) und Komplikationen vermieden werden. 


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