Strichfiguren / Strichmännchen: Wissenschaft, ID 257861502 ©strichfiguren, Adobe Stock
Strichfiguren / Strichmännchen: Wissenschaft, ID 257861502 ©strichfiguren, Adobe Stock

Was hat der Physik - Nobelpreis 2022 mit der Homöopathie zu tun?

Dr. med. M. Berger - November 2022

Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Quellenangabe in der "Infobox".

Für ihre jahrzehntelange Forschung an dem Phänomen der Verschränkung von Elementarteilchen haben 2022 die Physiker Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger den Nobelpreis für Physik zugesprochen bekommen.

Was hat das mit der Homöopathie zu tun?
Zunächst einmal scheinbar gar nichts. Wir können daraus keine unmittelbare Schlussfolgerung in Hinblick auf die Wirkweise der Homöopathie ziehen. Und dennoch gibt es bei genauer Betrachtung der physikalischen Forschung, die mit dem Nobelpreis gewürdigt wurde, wichtige Erkenntnisse für den Blick auf die Homöopathie. Schauen wir uns die Umstände der Reihe nach an:

Homöopathische Potenzierung

Homöopathische Arzneimittel werden in einem bestimmten Verfahren hergestellt, man spricht von „Potenzierung“ (aus dem lateinischen, „Potentia“ - die Kraft). Die Ausgangssubstanz (sog. Urtinktur) wird dabei chemisch-physikalisch betrachtet in einem definierten Mischungsverhältnis verdünnt und anschließend durch einen Schüttelprozess mit dem Lösungsmittel vermischt. Mit zunehmender Potenzierung sinkt die Konzentration des Ausgangsstoffs. Aufgrund der atomaren bzw. molekularen Struktur der Materie sind Stoffe jedoch nicht unendlich teilbar. Dies hat zur Folge, dass etwa ab der Potenzstufe D 23 (C 12) die Wahrscheinlichkeit gegen null geht, dass in der potenzierten Lösung noch Spuren des Wirkstoffes enthalten sind (1).

Kritik an der Homöopathie

Dies ist einer der Hauptkritikpunkte an der Homöopathie, der zu ihrer Ablehnung führt. Ohne Wirkung eines nachweisbaren Wirkstoffes sei ein biologischer Effekt nicht denkbar. Deswegen könne Homöopathie schon prinzipiell nicht wirksam sein, denn „wo nichts drin ist, kann auch nichts wirken“. Die scheinbar unmittelbare Verständlichkeit dieser Argumentation führt dazu, dass beim Thema Homöopathie offensichtlich jeder von vornherein „genau Bescheid weiß“ – homöopathische Fachkenntnisse oder eine vertiefende Recherche (z.B. tatsächliche Studienergebnisse) würden sich erübrigen. Die positive Erfahrung von Patienten und Therapeuten wird ausschließlich als Placebowirkung abgetan. Qualitativ hochwertige Studiendaten, die eine Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel belegen, werden ignoriert. Allen, die mit der Homöopathie sympathisieren, wird unterstellt, sie seien einem mystischen, übernatürlichen Irrglauben verfallen.


Kontroverse Sichtweisen

Es stehen sich also die Auffassungen von Kritikern auf der einen Seite und die der Befürworter der Homöopathie andererseits grundverschieden gegenüber:


1.
Kritiker: „Wo nichts drin ist, kann auch nichts wirken. Studiendaten, die einen positiven Effekt der Homöopathie zeigen, müssen deswegen falsch sein.“

Befürworter: „Auch wenn wir den Wirkmechanismus nicht kennen - die Wirksamkeit hoch potenzierter Arzneimittel (auch ohne Wirkstoff) ist hinreichend nachgewiesen.“

2.
Kritiker: „Eine nicht an Stofflichkeit gebundene Wirkung von Arzneimitteln widerspricht allen verfügbaren Erkenntnissen der Wissenschaft und ist deswegen unmöglich“.

Befürworter: „Die bekannten pharmakologischen Wirkmechanismen müssen nicht zwangsläufig auch für die Homöopathie gelten. Es ist eine historische Tatsache, dass der Fortschritt der Wissenschaft morgen Erkenntnisse beweisen kann, deren Existenz heute undenkbar ist.

Zu 1. Homöopathie ist wirksam

Bevor wir uns der Frage zuwenden, was der Physik-Nobelpreis mit der Homöopathie zu tun hat, wollen wir zunächst auf die erste kontroverse Frage blicken:

Wenn wir auch das „Wie“ nicht kennen, so wissen wir doch, dass hoch potenzierte Arzneimittel auch ohne Wirkstoff wirksam sind. Die Zusammenfassung aller wissenschaftlichen Nachweise, die sich aus sog. kontrollierten Doppelblind-Studien (RCT’s), ihren Zusammenfassungen (Metaanalysen) und länger währenden Beobachtungsstudien ergibt, spricht deutlich für die Wirksamkeit und den Nutzen der Homöopathie (2). Ebenso bestätigen die Daten der experimentellen Grundlagenforschung, dass hoch potenzierte Zubereitungen eindeutig anders wirken als ihre Placebokontrollen (2).


Man könnte den Gedanken plausibel finden, Heilerfolge der Homöopathie beruhen nicht auf der Wirksamkeit ihrer Arzneimittel, sondern sind durch sog. Kontexteffekte, wie Zuwendung und lange Anamnesegespräche, begründet (Placeboeffekte im erweiterten Sinne). Diese Sicht ist jedoch nicht haltbar, denn es ist gerade der Sinn und Zweck von Doppelblindstudien, mögliche Kontexteffekte von der Wirkung durch Arzneimittel zu unterscheiden.

Es gibt also keinen vernünftigen Grund für die Annahme, dass nachgewiesene Wirkungen, „eigentlich“ nicht existent sind, nur weil wir (noch) keine Erklärung dafür haben. Die Wirknachweise lassen nur eine Schlussfolgerung zu: Es muss eine nicht-materielle Wirkung hoch potenzierter homöopathischer Wirkstoffe geben.

Zu 2. Homöopathie ist denkbar

Zur Klärung der kontroversen Meinung Nr.2 kommt nun endlich der Physik-Nobelpreis 2022 ins Spiel. Er wurde den drei o.g. Wissenschaftlern verliehen, die eine sog. Verschränkung von Teilchen (z.B. Lichtteilchen) experimentell nachwiesen. Zwei verschränkte Elementarteilchen verhalten sich so, als ständen sie ohne jeden Zeitverzug in Verbindung miteinander. Und das unabhängig von der Entfernung, die sie trennt. Anton Zeilinger aus Wien, einer der drei Nobelpreisträger, gelang mit seiner Arbeitsgruppe der Nachweis der sog. Quantenteleportation. Ein Teilchen kann seinen (Quanten-) Zustand auch räumlich unabhängig auf ein anderes übertragen. Der zugrundeliegende Mechanismus ist völlig unbekannt - es wird dabei weder Materie noch Energie übertragen.

Einstein hatte noch die Existenz der Verschränkung von zwei Elementarteilchen abgelehnt, er sprach etwas spöttisch von einer „spukhaften Fernwirkung“. Sie ist mit mehreren Prämissen der Physik unvereinbar. Bislang gilt z.B. die Lichtgeschwindigkeit als maximale Geschwindigkeitsgrenze für Materie und Energie. Es gibt keine Erklärung, wie verschränkte Teilchen ohne jegliche Zeitverzögerung gleichsinnige Wirkungen, unabhängig von der Entfernung, realisieren können - und das offensichtlich vielfach rascher als die Lichtgeschwindigkeit. Auf die Frage, was angesichts der Forschungsergebnisse Wirklichkeit sei, antwortet Zeilinger: „Denn es stellt sich zunehmend heraus, dass unsere Wirklichkeitskonzepte fundamental verkehrt sind“ (3 - 6).

Der Nobelpreis für Physik 2022 führt zu Schlussfolgerungen, die durchaus Konsequenzen für den Blick auf die Homöopathie haben:

1. Es gilt als bewiesen, dass Effekte auch nicht-materiell, also ohne ursächlichen Einfluss von Materie oder Energie, ausgelöst werden können.

2. Es existieren physikalische Phänomene, die unsere Alltagserfahrung auf den Kopf stellen.

3. Es ist eine Tatsache (und wird nicht etwa nur von Homöopathen als „Schutzbehauptung“ angeführt), dass wissenschaftliche Erkenntnisse im Wandel begriffen sind. Das, was heute noch als wissenschaftlich undenkbar ausgeschlossen wird („wo nichts drin ist, kann auch nichts wirken“), kann morgen eine bewiesene Erkenntnis sein.

Dies macht die Vergabe des Nobelpreises für Physik 2022 eindrucksvoll deutlich.

Die oben skizzierten Effekte sind im Übrigen weder eine Erklärung für die Wirkweise der Homöopathie, noch beinhalten sie eine wissenschaftliche Theorie. Sie unterstützen allerdings die Argumentation von Befürwortern der Homöopathie, dass eine Wirkung hoch potenzierter Arzneimittel auch ohne stoffliche (materielle) Grundlage prinzipiell denkbar ist - auch wenn wir den Mechanismus (noch) nicht kennen. Dem Argument, „wo nichts drin ist, kann auch nichts wirken“, fehlt die naturwissenschaftliche Basis - es geht damit ins Leere.

Navigation
Infobox
  • Quellenverzeichnis
    PDF - 45.72 KB
Der Download ist nur für registrierte Mitglieder verfügbar.
LoginRegistrieren
Beitrag als PDF