Leserbrief; ©Mego-Studio/fotolia
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Leserbrief zum Beitrag im "Spiegel":
"Hokuspokus - Geld weg!"

Gregor Kindelmann - September 2018

Zum Beitrag im Spiegel: "Hokuspokus - Geld weg! Heiler, Gurus, Scharlatane: Der Boom der Alternativmedizin" hat uns hat ein Leserbrief von Herrn Gregor Kindelmann aus Hamburg erreicht. Der Spiegel hat den Leserbrief nicht abgedruckt. Wir finden, der Beitrag von Herrn Kindelmann zur Diskussion um die Homöopathie ist es wert gelesen zu werden und veröffentlichen ihn aus diesem Grund ungekürzt.



Leserbrief von Herrn Kindelmann


Sehr geehrte Damen und Herren,

eigentlich war ich ja schon etwas abgestumpft ob der regelmäßigen unsachlichen Berichterstattung über Homöopathie und anderer komplementärmedizinischer Verfahren und wollte mir die Zeit sparen, mich damit auseinander zu setzen. Allerdings beschäftigen mich doch einige Fragen, auf die Sie mir ja vielleicht Antworten geben können.

Wie üblich schreiben Sie in der aktuellen Titelgeschichte, dass es keine Studien gäbe, die belegen würden, dass Homöopathie besser als Placebo wirkt. Da Frau Hackenbroch Medizin studiert hat und zudem an der Nannen-Schule ausgebildet wurde, kann sie eine einfache Literaturrecherche durchführen. Und diese sollte sie schnell zu dem Befund bringen, dass 7 von 9 Metastudien, die ja bekanntermaßen in der evidenzbasierten Medizin die höchste Aussagekraft haben, einen Effekt belegen, der nicht mit Placebo vereinbar ist. Zwei Studien behaupten anderes, wobei die Daten der Shang-Studie von Rutten reanalysiert wurden, wodurch sich die Aussage umkehrte. Die verbleibende australische Studie sollte eigentlich Ihr journalistisches Interesse wecken, da deren erste Version nicht veröffentlicht wurde und auch auf Anfrage nicht veröffentlicht wird. Zudem gibt es noch andere Hinweise auf unwissenschaftliches Vorgehen.


Darüber könnte man schon mal berichten, anstatt die gefühlt zehnte Version des immer gleich schlecht recherchierten Artikels über Homöopathie im Allgemeinen zu veröffentlichen. Und wie ist das eigentlich mit der Dokumentation? Sie hatten vor einiger Zeit eine Werbung, die auf eben diese Abteilung ihres Verlages hingewiesen hat. Aber ich musste doch sehr schmunzeln, und wunderte mich, warum nicht spätesten der Dokumentar sagt, „da gibt es schon diverse Studien – dass kann man so nicht stehen lassen“. Kann er nicht? Soll er nicht? Will er nicht?

Das gleiche Vorgehen beim Thema Kosten. Ja, die eine Studie, die Sie erwähnen, kommt zu dem Befund das Homöopathie-Patienten mehr Kosten verursachen (ohne allerdings auf die Outcomes in den Vergleichsgruppen einzugehen), aber ein wesentlicher Teil der anderen Studien zum gleichen Thema, wie z.B. die PEK Studie in der Schweiz, kommen genau zum gegenteiligen Schluss bzw. bescheinigen eine Vergleichbarkeit der Kosten.

Warum stellen Sie die Aussagen nicht einander gegenüber? Warum stellen Sie die Uneindeutigkeit der Studienlage, die es in der Homöopathie, wie auch in vielen anderen Forschungsgebieten gibt, nicht dar?


Dass in Ihrem Artikel auch noch Verrat an den Prinzipien der Aufklärung beklagt wird, ist fast schon lustig aber doch eher tragisch. Gerade diese Art der Berichterstattung, die Informationen unterschlägt und verdreht; die versucht Ekel hervorzurufen indem willkürlich einzelne unappetitliche Arzneigrundstoffe hervorgehoben; in der emotionale Betroffenheit erzeugt werden soll, durch anekdotische Darstellung von Behandlungsfehlern, die im konventionellen medizinischen Betrieb ebenso bzw. noch häufiger vorkommen; die eine vermeintliche Überläuferin präsentiert, deren Verlangen nach Allmachtsgefühlen unbesehen mit dem eigentlichen Thema vermengt werden – gerade das ist doch Verrat an eben diesen Prinzipien.

Warum stellen Sie nicht die Studienlage dar wie sie ist und lassen die Leser in Sinne von Kants Maxime des „Aude sapere“ selber denken und entscheiden. Oder sehen Sie sich in der moralisch und intellektuell überlegenen Position die es gebietet, dass Sie vorgeben, was richtig und falsch ist? Das hätte dann aber nichts mehr mit Aufklärung zu tun.


Nun könnte man sagen, na gut, es geht hier nur um Homöopathie bzw. andere CAM-Heilmethoden. Aber woher weiß ich, dass in den anderen Ressorts nicht ebenso schlampig oder tendenziös gearbeitet wird? Muss ich nun alle Aussagen überprüfen, weil sie ebenso falsch sein könnten wie das obige Beispiel zur Studienlage? Bekomme ich bald zu lesen, „es gibt bis heute keine Beweise für rechtsextremen Terrorismus“ oder, „es gibt keine Information die systematischen Kindesmissbrauch durch die katholische Kirche belegen würden“, nur weil es sich gut in eine Argumentationskette einfügt?

Die Art und Weise wie Sie hier agieren, beschädigt das Vertrauen in die Presse und fördert stumpfe „Fake News“ und „Lügenpresse“ Rufe. Ist es das wert? Warum tun Sie das? Was hindert Sie, die Werkzeuge, die Sie eigentlich zur Verfügung haben sollten, so zu nutzen, dass der Leser sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen bedienen kann und so zu seinen eigenen Schlüssen kommt?

Mit freundlichen Grüßen


Gregor Kindelmann

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