Dr. med. Thomas Bonath -
„Nur jemand, der einmal entflammt war, kann auch ausbrennen!“. Dieser
ausführliche und umfassende Beitrag informiert über den Weg vom
Engagement zur Erschöpfung - mit allen Facetten. Er beschreibt die seelischen
und körperlichen Veränderungen, benennt die Voraussetzungen und skizziert
Wege aus dem Burnout.
Kaum eine Krankheit hat in den letzten Jahren eine derartig dramatische
Zunahme erfahren wie das Burnout-Syndrom. Hierunter versteht man eine
Ansammlung verschiedener psychischer und körperlicher Symptome, die in der
Summe zu einem Zustand tiefer emotionaler Erschöpfung mit reduzierter
Leistungsfähigkeit führen kann. Waren zunächst besonders Lehrer und andere
soziale Berufe betroffen, weitet sich das Spektrum weiter aus, vom Fußballtrainer
oder Banker bis zum Fahrradkurier. Wissenschaftlich ist „der Burnout“ immer
noch nicht als Krankheit erfasst und definiert: In der „Internationalen
Klassifikation der Erkrankungen“ (ICD 10) gilt er nach wie vor nur als
Einflussfaktor, der „den Gesundheitszustand beeinflussen und zur
Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen kann“, aber nicht als
eigenständige Krankheit.
Betroffene erlebt es anders: Herr R. ist als höherer Verwaltungsbeamter tätig. Er
übernimmt eine neue Funktion. Aber er „funktioniert“ auf einmal nicht mehr. Über
Monate hinweg versucht er den Aufgaben gerecht zu werden, aber es schleichen sich
immer mehr Fehler ein. Er bekommt zunehmend Sorgen, dass dies seinen Mitarbeitern
auffallen könnte, bleibt deshalb länger im Büro, um alles noch einmal zu kontrollieren,
bevor es seinen Schreibtisch verlässt. Er zieht sich aus dem sozialen Umfeld weitgehend
zurück mit Hinweis auf die vielfältig anstehende Arbeit. Obwohl sehr familiär orientiert,
fährt er auch hier die Kontakte zurück. Besonders seiner Frau und seinen erwachsenen
Kindern fällt die veränderte, gereizte und mürrische Verhaltensweise auf. Darauf
angesprochen, weicht er aus und erklärt es mit einer vorübergehenden beruflichen
Belastung.
Diese erweist sich allerdings nicht als vorübergehend. Trotz zeitlichen
Mehraufwand wird Herr R. immer „ineffektiver“. Zu den psychischen Problemen
kommen auch noch körperliche Beschwerden wie Kopf- und Rückenschmerzen,
Einschlafprobleme und Morgentief, Magenschmerzen mit Appetitverlust, auf die
unkontrollierte Essattacken folgen. Bei seinem Arztbesuch verschweigt Herr R. seine
seelischen Probleme und bekommt erstmal nur symptomatisch wirkende Medikamente,
die allerdings keinen nachhaltigen Erfolg bewirken. Beruflich kann er seine Mängel
mittlerweile nicht mehr kaschieren, was er als zusätzliche Bedrohung und Beschämung
erlebt. Als ihm eines Tages auffällt, dass er trotz zehnstündiger Anwesenheit im Büro im
wörtlichen Sinne nur die Akten von links nach rechts schieben konnte, sucht er den
Hausarzt auf, der die weitere Diagnostik einleitet und ihn schließlich in eine Spezialklinik
einweist.
Der Weg ins Burnout ist immer individuell und durch unterschiedliche Faktoren
geprägt. Aber auch wenn es keinen klaren, immer zutreffenden
Entstehungsmechanismus gibt, lässt sich der Verlauf meist in verschiedene
Phasen unterteilen:
➢ Enthusiasmus
Die Erkrankung ist meist Folge einer länger währenden Entwicklung: „Nur
jemand, der einmal entflammt war, kann auch ausbrennen!“ (Pines, Aronson &
Kafry, 1985). Am Anfang der Entwicklung steht häufig ein starkes Engagement,
verbunden mit einem idealisierenden Bild von Beruf und der eigener
Leistungsfähigkeit. Dieses gerät mit den realen Möglichkeiten und Bedingungen
immer mehr in Konflikt. Hierdurch entsteht ein starkes Gefühl innerer
Anspannung. Als Kompensation wird dann verstärkt versucht, durch immer
mehr Leistung doch den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Dies kann
natürlich durch von außen kommende Anforderungen zusätzlich noch verstärkt
werden. Warnsignale wie negative Gefühle werden ignoriert, zum Erreichen
gewohnter Leistungen benötigt man einen immens hohen Energieeinsatz und
die folgende Müdigkeit wird verdrängt.
➢ Frustration
Irgendwann werden die eigenen Ressourcen überschritten. Innerlich kommt es
zu Resignation, häufig gepaart mit Aggression, Angst und Schuldzuweisungen
an sich und andere. Gefühle wie Ärger, Unzufriedenheit, Gereiztheit und das
Gefühl ausgenutzt oder betrogen zu werden, nehmen zu. Die Versuche zur
Klärung der Situation werden radikaler:
Als aktiver Abwehrmechanismus entsteht der Wunsch nach Arbeitsplatzwechsel
und geänderten Lebensumständen; im passiven Modus kommt es zu
Medikamenten-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch. In dieser Phase kommt es
sehr häufig zu zunehmenden körperlichen Beschwerden, für die sich häufig
keine körperliche Ursache finden lässt.
Beispiel: Ein Konrektor leidet seit Jahren unter massiven Blinzelzwang, der beruflich und
gesellschaftlich gravierend beeinträchtigt. Alle medizinischen, teilweise drastischen
Behandlungsversuche bis zur Injektion von Botulinustoxin oder Klinikaufenthalte
brachten nur vorübergehenden Erfolg. In der unterrichtsfreien Zeit und im Urlaub
besserte sich die Symptomatik, um während der Unterrichtszeit massiv wieder
einzusetzen. Vom Patienten wird der Beruf aber als positiv und „Sinn des Lebens“ erlebt,
„es kann dann doch gar nicht sein, dass Blinzeln und Stress zusammenhängen.“
➢ Verzweiflung
An die Frustrationsphase schließt sich ohne therapeutische und soziale
Intervention aus dem Arbeitsfeld häufig eine Phase tiefer Verzweiflung an:
eigene Reaktionen erscheinen sinnlos, Angst vor dem Versagen bei bisher gut
bewältigten Aufgaben, Misstrauen gegen das berufliche und private Umfeld
treten verstärkt auf. Auch bei vertrauten Anforderungen kommt es schnell zur
Erschöpfung, der Betroffene versucht das Leben so weit es geht zu
automatisieren, er zieht sich beruflich und privat zurück und fällt in Apathie.
➢ Unzufriedenheit
Es verdichten sich die Hinweise, dass Unzufriedenheit, sowohl im beruflichen als
auch privaten Umfeld, eine wichtige Verstärkerrolle bei der Entwicklung des
Burnout spielt. Hierbei kann es zu Übertragungen auf den jeweils anderen
Bereich kommen. Da es für den Betroffenen und auch für sein direktes Umfeld
plausibler und zunächst auch konfliktärmer ist, die Krankheitszeichen mit der
beruflichen Belastung zu erklären, werden z.B. familiäre Spannungen zunächst
nicht wahrgenommen. Das Gleiche funktioniert auch umgekehrt.
Ein weiteres Phänomen, das sich durch Unzufriedenheit erklärt, ist das so
genannte „boreout“, also Erschöpfungszustände, die durch Unterforderung
entstehen. Sie gleichen aufs Haar den Krankheitszeichen des Burnout, obwohl
scheinbar entgegen gesetzte Ursachen zugrunde liegen. Allerdings wissen wir
aus der Stressforschung, dass andauernde Unter- oder Überforderung, die
beiden Seiten einer Münze sind, die in der gleichen Währung ihre Einlösung
finden: der chronischen Erschöpfung.
➢ Erschöpfung
Lang andauernder Stress stellt für den Organismus eine Überlastung dar, auf die
er körperlich, seelisch und mit Nachlassen der Aufmerksamkeit reagiert. Hierbei
spielen Stressfaktoren eine besondere Rolle, von denen man vermutet, man
könne sie nicht bewältigen. Verstärkt werden diese Faktoren dann, wenn weder
durch einen selbst noch durch andere eine Belohnung in Form von
Anerkennung für das Durchhalten erfolgt. Der Unwillen, dieses „Kreuz“ weiter zu
tragen, äußert sich dann in Erschöpfungszeichen.
Wie alle psychischen Erkrankungen ist auch das Burnout-Syndrom Ergebnis des
Zusammenwirkens unterschiedlicher Faktoren: Individuelle Persönlichkeit und
Widerstandsfähigkeit gegen Stress beeinflussen seine Entwicklung. Ehrgeiz und
Perfektionismus, eine mangelnde Fähigkeit sich von Aufgaben und
Anforderungen abzugrenzen, stellen ebenso wie nicht ausreichende Strategien
und Techniken zur Stressbewältigung Risikofaktoren dar. „Perfekt und sofort“-
diese Maxime wird von Empfänglichen als „Selbstverständlichkeit“ verinnerlicht,
das eigene Tun daran gemessen- und in erster Linie negativ bewertet. Es hätte
ja noch besser sein können! Dieses Selbstbild wird durch äußere Anforderungen
und gesellschaftliche Werte „perfekt“ bedient - und ausgenutzt. Dem
Individuum wird vermittelt: zum Erfolg gehören Flexibilität, rasche Erledigung
und Verlässlichkeit bei jeder Anforderung. “Schneller - höher - weiter“, die Werte des Hochleistungssports haben längst den beruflichen Alltag erreicht, auch
wenn wir nicht alle Olympia-Teilnehmer sein wollen.
Ein Beispiel, Auslöser durch akute Belastungssituation: Frau V. ist Lehrerin mit Leib
und Seele. Mit großem Engagement setzt sie sich für „ihre“ Kinder ein, hilft einzelnen
auch bei außerschulischen Problemen. Sie legt einen Schulgarten an, den sie mit viel
Liebe und Eifer gemeinsam mit Schülern pflegt. Hierfür wird sie von der Schulbehörde
sogar mit einem Preis geehrt. Sie kümmert sich besonders zugewandt um Kinder, die mit
der Integration Schwierigkeiten haben, hilft ihnen mit Zusatzstunden in ihrer Freizeit und
unterstützt sie durch Übungs- und Lehrmaterial, das sie aus der eigenen Tasche
finanziert. Sie organisiert Theaterprojekte und bastelt mit am Bühnenbild. Bei Schülern
und Eltern ist sie äußerst beliebt. Im Kollegium wird ihr das nicht immer gedankt, manch
weniger aktive Kollege fühlt sich von ihrem Vorbild unter Druck gesetzt.
Eines Tages kommt es zum Eklat. Ein besonders renitenter Schüler prügelt einen anderen
Jungen. Frau V. schreitet ein und zieht den Schläger von seinem Kombattanten
herunter. Dieser Junge beschwert sich bei seinem Vater, der wiederum die Rektorin
einschaltet und Frau V. Tätlichkeit vorwirft. Die Rektorin leitet ein Disziplinarverfahren
gegen Frau V. ein. Für Frau V. bricht damit eine Welt zusammen. Sie ist maßlos
enttäuscht über den mangelnden Rückhalt aus dem Kollegenkreis und den „Verrat“
der Rektorin. Sie stellt alle freiwilligen Aktivitäten ein, zieht sich auch aus dem
Freundeskreis zurück und entwickelt immer mehr körperliche Krankheitszeichen.
Schließlich ist sie komplett arbeitsunfähig.
Im Internet stehen zahlreiche Tests zur Burnout-Diagnostik zur Verfügung. Nicht
alle sind wirklich weiterführend und sachdienlich. Sie können aber zur ersten
eigenen Überprüfung und Quantifizierung von Warnsignalen dienen. Bewährt
haben sich wissenschaftliche Verfahren wie das „Maslach Burnout Inventory“
und das „Tedium Measure“. Alle vorhandenen Tests haben aber den Nachteil,
daß sie für helfende Berufe entwickelt wurden und damit den Anforderungen
und Realitäten anderer Berufe nur anteilmäßig gerecht werden. Die Diagnosestellung sollte wegen der weit reichenden Konsequenzen durch
qualifizierte Ärzte und Therapeuten erfolgen. Die Diagnosestellung sollte wegen der weit reichenden Konsequenzen durch
qualifizierte Ärzte und Therapeuten erfolgen.
Eigene Möglichkeiten: Bei bereits manifesten Burnout, besonders im
fortgeschrittenen Stadium ist die Therapie nur durch den Betroffenen selbst
weder sinnvoll noch möglich. In diesen Stadien ist er mit der Bewältigung
überfordert. Die Behandlung ist allerdings immer auf Mitwirkung und
Übernahme von Eigenverantwortung angewiesen.
1. Medikamente - für und wider: Spezifische Psychopharmaka gegen das
burnout existieren nicht, vielmehr werden vor allem Antidepressiva,
angsthemmende Mittel oder auch Schlafmittel eingesetzt. Dies ist äußerst
kritisch zu betrachten, da hierdurch nicht nur die Symptome lediglich verdeckt
werden, sondern auch bei entsprechendem Potential des Medikaments ein
Abhängigkeitsrisiko entstehen kann. Dieses Risiko ist besonders hoch bei
bestimmten Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Psychopharmaka sollten also nur
von dafür qualifizierten Ärzten zur Akutbehandlung bestimmter Zustände
eingesetzt werden. Gerade im weit fortgeschrittenen Zustand geht das burnout
meist mit ausgeprägten Depressionen einher. Hier kann eine
Medikamentengabe erforderlich sein. Es sollte aber immer klar sein, welcher
Krankheitsmechanismus zugrunde liegt. Gerade beim Burnout ist meist eine
multimodale Therapie erforderlich, nur die Behandlung mit Medikamenten ist
nicht sinnvoll!
2. Homöopathie: Die Homöopathie ist in der Hand des erfahrenen Therapeuten
eine sichere und effektive medikamentöse Alternative oder Ergänzung. Bei
richtiger Wahl helfen homöopathische Medikamente dem Patienten, das
innere Gleichgewicht schneller wieder herzustellen.
Dies äußert sich oft zunächst in einer Verminderung der körperlichen
Krankheitszeichen wie Kopf-, Magen- oder Rückenschmerzen. Schlafstörungen
nehmen wieder ab, der Schlafrhythmus normalisiert sich. Die während eines
Burnouts erhöhte Infektanfälligkeit klingt wieder ab. Auf der emotionalen Ebene
kann die depressive Symptomatik schneller reduziert werden, der Patient
kommt überhaupt oder schneller aus Abstumpfung, Verbitterung und
Verzweiflung heraus. Die ständigen Grübeleien lassen nach,
Konzentrationsfähigkeit stellt sich wieder ein. Der innere Druck lässt nach.
Dadurch kann der Betroffene mehr auf seine heilenden Ressourcen zugreifen,
kann sich besser sozial reintegrieren und beruflich Perspektiven entwickeln. Die
Rückfallgefahr lässt sich so häufig reduzieren.
Alle oben erwähnten Patientenbeispiele haben von einer homöopathischen
Behandlung profitieren können.
Wenn man sich verlaufen hat, sollte man nach dem Weg fragen. Je nach
Situation kann für eine gewisse Zeit auch die Zusammenarbeit mit einem
„Pfadfinder“ sinnvoll sein. Auf dem Weg aus der Krise kann man diese Rolle
einem Therapeuten übertragen. Seine Aufgabe ist es, dem Patienten den Weg
aufzuzeigen, verschiedene „Routen“ zu erkunden und mögliche Fallstricke oder
Untiefen aufzudecken - den Weg gehen muss aber der Betroffene selbst.
Dies ist meist die schwierigste Aufgabe. Nach einer krankheitsbedingten Auszeit
ist es häufig die eigene Erwartung oder die von anderen, dass jetzt doch wieder
alles so zu sein habe wie vorher. Zur Vermeidung eines Rückfalls ist es nicht
selten notwendig, die bisherigen Lebenseinstellungen und -Umstände zu
verändern. Stress und chronische Belastung lassen sich in unserem Leben nicht vermeiden, aber durch effektive Strategien zur Stressbewältig reduzieren und
besser verarbeiten.
Hierzu gehören:
- regelmäßig Erholungspausen
- die Arbeitsbelastung auf einem realistisch zu bewältigenden Niveau halten
- ausgleichende Tätigkeiten im sportlichen und sozialen Bereich
- Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Progressive Muskelrelaxation
- körperliche und seelische Warnsignale wahrnehmen und darauf zu reagieren
- Sprechen mit Freunden, Kollegen und Verwandten auch über Gefühle und Probleme
- Bitte um ehrliches Feedback, wenn dem Umfeld erneut Verhaltensveränderungen auffallen