Dr. med. Thomas Bonath -
ADS – Erscheinungsformen
ADS wird mittlerweile als häufigste psychische Störung des Kinder- und
Jugendalters diagnostiziert. Betroffene Kinder haben massive Probleme sich zu
konzentrieren, vor allem bei Aufgaben, die außerhalb des selbst gewählten
Interessenbereichs liegen.
Sie haben Schwierigkeiten, eingehende Informationen nach ihrer Bedeutung zu
gewichten. So ist der Gesang der Amsel vor dem Fenster oder das Knistern des
Butterbrotpapiers des Klassenkameraden drei Bänke weiter hinten genauso
wichtig, wie die Erläuterungen der Klassenlehrerin zu den Matheaufgaben.
Aufgrund der verminderten Impulskontrolle ecken diese Kinder überall an, da
sie oft sofort handeln – und dann „eventuell“ denken.
Ihr Verhalten
wird dann als ungezogen, aggressiv oder
provozierend
missverstanden. Das häufigste Fremdurteil über ADS-Kinder lautet also: “kann
sich nicht konzentrieren – ist sofort ablenkbar – ist unbeherrscht.“ Diese
Einschätzung ist aber von der Sichtweise des Betrachters abhängig, eine etwas
„gelassenere Natur“ urteilt vielleicht über das gleiche Kind „ ist offen – flexibel –
spontan“, also Eigenschaften, die bei Kindern ja durchaus willkommen sein
sollten.
Bei anderen Kindern ist die Unruhe gar nicht von außen sichtbar, sie schweben
scheinbar ganz entspannt im Irgendwo, unberührt von der jeweiligen
Aufgabenstellung träumen sie vor sich hin, kommen bei Ansprache scheinbar
nur widerwillig mit einem erstaunten „Was ist? – Ääh...“ zurück. Dieser Zustand ist
aber alles andere als angenehm, da die Kinder dadurch ihre Aufgaben nicht
erfüllen können – und immer mehr verzweifeln.
ADS – eine klare Diagnose?
Erstaunlicherweise wird nun bei so entgegen gesetzten Verhaltensweisen
trotzdem die gleiche Diagnose „ADS“ gestellt. Erklärt wird dies dadurch, dass
man für beide Störungen die gleiche Ursache vermutet – eine „Störung der
Aufmerksamkeit“. So wird der Eindruck erweckt, als ob es sich bei dem Begriff
„Aufmerksamkeit“ um etwas genau Definiertes, Eindeutiges handelt.
Ist das wirklich so? Meine „Aufmerksamkeit“ z.B. ist sehr groß, wenn ich ein
Fachbuch oder einen spannenden Krimi lese, muss ich allerdings die
Steuererklärung bearbeiten – oh je, zumindest dann habe ich ein ausgeprägtes
„Teilzeit-ADS“. Wie ist es bei Ihnen?
Warum erwarten wir dann von unseren Kindern, dass sie für Textaufgaben,
zusammengesetzte Adjektive, die Groß- und Kleinschreibregeln (oder ein
Mörikegedicht, dessen Sprache Kindern genauso nah ist, wie mir die Lyrik vom
Steuergesetz x,
Paragraph y,
Absatz
z), dass sie dafür die gleiche Aufmerksamkeit von sich aus aufbringen wie für Gameboy, Lego oder andere
Hobbies? Und tun wir genug, um ihnen die Lerninhalte und ihre Wichtigkeit
richtig zu vermitteln?
Als Arzt, der einen Schwerpunkt auf die Behandlung verhaltensauffälliger Kinder
legt, bin ich in einer merkwürdigen Situation. Musste ich in früheren Jahren noch
Eltern, Lehrer und Patienten über die bloße Existenz von ADS aufklären, warne
ich heute teilweise davor, diese Diagnose zu oft und zu schnell zu stellen: „Nicht
jeder, der zappelt oder träumt, hat ADS!“
Die „zu großzügig“ gestellte Diagnose kann nämlich weit reichende Folgen
haben, von der Stigmatisierung der Kinder durch Unkenntnis im sozialen Umfeld
(„wenn das Kind doch „geistig behindert“ ist – ja, dann muss es halt auf eine
andere Schule“) bis zum massiven Druck, endlich eine Behandlung mit
Psychopharmaka einzuleiten („seit der Franz Ritalin nimmt, ist er viel ruhiger in
der Schule – machen Sie das doch bei Ihrem Kind auch so“).
Eine „Inflation“ der Diagnose würde aber auch bedeuten, dass die Störung
wieder wie früher aus Unverständnis bagatellisiert wird – „So, so – Ihr Kind hat
ADS, nun, das haben die meisten hier“ – und weiterhin auf die Besonderheiten,
Bedürfnisse und Nöte der wirklich Betroffenen nicht eingegangen wird. Dies ist
umso fataler in einer gesellschaftlichen Situation, in der in der Schule die
Leistungshürden durch politischen Willen immer höher gehängt werden – ohne
Lehrern, Schülern und Eltern die Fördermaßnahmen zu bieten, um sich den
gestiegenen Anforderungen anpassen zu können. Viele eigentlich intelligente
Kinder fallen dann durchs Raster.
ADS – keine Schweregrade? Ist ADS gleich ADS?
Derzeit gibt es keine Einteilung des Störungsbildes nach Ausprägungsgrad. Sie
wäre sehr wichtig, um einen Stufenplan für die Behandlung zu entwickeln – ist
aber schwierig. Der Ausprägungsgrad ist nämlich stark abhängig von den
äußeren Umständen, er ist nicht gleichbleibend. Das heißt, je mehr
gefühlsmäßigem Stress ein Kind ausgesetzt ist, desto stärker werden die
Krankheitszeichen.
Häufig wird bei der Diagnosestellung mit einer Psychopharmaka-Behandlung
als Grundbehandlung begonnen, obwohl andere Maßnahmen vielleicht
ausreichten. Eine solche Behandlung ist aber nur symptomreduzierend, so wie
ein Fieberzäpfchen bei Fieber die Temperatur senkt, nicht aber die Ursache
heilt. Es stellt sich dabei die Frage, ob ohne weitere therapeutische
Maßnahmen wirklich der Betroffene lernt, irgendwann - auch ohne Pille - mit
sich und seiner Umwelt klar zu kommen.
Die Symptome von ADS können teilweise auch durch andere psychische
Störungen hervorgerufen werden, wie Angst, Depression oder oppositionelle
Störungen des Sozialverhaltens. Eine genaue Unterscheidung ist hier wichtig.
Auch äußere Faktoren wie Mobbing oder Überforderung rufen Unruhe und
Unkonzentriertheit hervor. Häufig werden die genannten anderen Störungen
zusätzlich als Reaktion bei ADS hervorgerufen. Die Kinder merken ihr Anders-
sein, nehmen die Reaktionen der Umwelt wahr und werden ängstlich, traurig,
aufsässig.
ADS – Therapie
Wichtig ist, dass die Behandlung auf jedes Kind und seine Probleme individuell
zugeschnitten wird. Zu den Bausteinen gehören z.B. Ergotherapie,
Heilpädagogik oder Psychomotologie.
Bestehende Teilleistungsstörungen wie Lese-, Rechtschreib-
oder
Rechenschwäche müssen spezifisch behandelt werden.
Wichtig ist auch ein Eltern-Training, da wir Eltern häufig einem Wechselbad aus
Wut, Trauer und Schuldgefühlen beim Umgang mit den Kindern ausgesetzt sind.
„Triple-P“ z.B. kann hier Ursachen für Problemverhalten verdeutlichen und
positive Strategien vermitteln, die den Alltag deutlich „friedlicher“ machen.
Bei der medikamentösen Behandlung können vor, neben oder ggf. an Stelle
der Psychopharmaka auch homöopathische Arzneimittel eingesetzt werden,
mit dem Ziel, Anwendungsdauer und Menge der Psychopharmaka zu
reduzieren, bzw. zu vermeiden.
Dr. med. Thomas Bonath
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